Zur falschen Zeit am falschen Ort. Für manch einen fühlt es sich ein Leben lang so an. Hätte ich dies gemacht, wäre ich dort konsequenter gewesen und warum habe ich mich nie getraut?! Rückblickend sind wir alle unglaublich schlau und glauben mit dem Wissen von heute damals komplett anders entschieden zu haben.

Bekanntlich spielt im Zeit-Raum-Kontinuum bei Frauen auch die Schwerkraft und die Fruchtbarkeit eine große Rolle. Egal wie wir es drehen und wenden, im Vergleich zu den Männern, haben wir da ganz sicher den Kürzeren gezogen. Während die Damen eine vorgegebene Zeitspanne zur Vermehrung haben, so sind Männer über Jahrzehnte und faszinierender Weise in Sekunden in der Lage sich zu reproduzieren. Wir Frauen hingegen haben ein schmaleres Fruchtbarkeitsfenster. Erfolgsquote, Prioritäten und Druck auf diesem Gebiet lassen sich entsprechend ableiten. Wen wundert es also, dass wir Frauen viele Entscheidungen in unserem Leben von der Familienplanung abhängig machen. Studium, Karriere und Kind – oder Studium, Kind und Karriere zum Schluss? Wir zwängen uns in ein Korsett gesellschaftlicher Erwartungen. Immer auf der Suche nach dem Optimum an Sicherheit, Planung und Komfortzone bewegen sich viele in einer Gedankenautobahn mit klaren Leitplanken, gebaut von Erziehung, sozialen Normen und Anspruchsdenken.

Was also bringt die Zukunft, wenn das Zeit-Raum-Kontinuum sich von einem Dreh- und Angelpunkt Zyklus für Zyklus verabschiedet? Wenn die Kinder, sofern die Reproduktion geklappt hat, aus dem Gröbsten raus sind, der Job ohne große Perspektive dahinplätschert und sich die Ehe im Fahrwasser einer Spreewaldtour befindet?

Was erwartet uns Frauen Ü Eisprung im Midlife Kontinuum? Ich sage: Alles ist möglich! Wir holen noch einmal alles aus den betagten Zellen raus, brüten neu oder kündigen die gut bezahlte Stelle und verwirklichen unseren Traum als Yogalehrerin oder entdecken an uns eine bislang vom Konsum unterdrückte soziale Ader. Wir sind eigentlich in einer der entspanntesten Phasen unseres Lebens. Denn wir MÜSSEN nicht mehr – jedenfalls nicht mehr so viel. Jung aussehen, den Prinzen suchen, Karriere aufbauen, Size zero halten und 24/7 h die Kinder und die Familie auf Spur bringen. Wir haben das alles gemacht. Jetzt ist es Zeit sich die Lorbeeren und das Diplom mit Auszeichnung abzuholen und den Spielplatz für die Jüngeren frei zu machen. Zurücklehnen und Entscheidungen aus dem Bauch treffen. An dieser Stelle werden einige alleinerziehende Mütter Sturm laufen und zu Recht sagen, meine Leitplanken bleiben, denn diese sind die finanziellen Verpflichtungen für mein Familienleben. Denen möchte ich sagen – es geht mir hier in erster Linie nicht um die Ignoranz existenzieller Sorgen. Diese bleiben – leider bei vielen ein Leben lang bestehen. Ich meine damit vielmehr, dass es Zeit ist das gesellschaftliche Korsett geschnürrt mit immer größeren und unerfüllbareren Erwartungen, abzulegen.

Nicht nur das Leben bestimmt was uns in der zweiten Lebenshälfte passiert, auch wir. Wenn wir jetzt nicht anfangen das zu tun, was uns der Bauch oder das Herz sagt, dann werden wir rückblickend immer zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Aber warum tun wir das nicht? Warum legen wir dieses Korsett nicht ab oder durchbrechen die Leitplanken? Weil wir Schiss haben. Angst davor falsche Entscheidungen zu treffen und die Komfortzone zu verlassen. Weil wir keine Erfahrungswerte für ein solches Handeln in unserem Leben jemals hatten.

Mir wird dieses Korsett zu eng, da ich im wahrsten Sinne des Wortes an meinem Zustand gewachsen bin. Ich verlasse innerhalb meiner zweiten Lebenshälfte die Komfortzone und den Spreewald und lasse mich erneut auf ein neues Abenteuer der Reproduktion ein. Statt verdienter Gleitzeitregelung des Alltages oder spontaner Belagerung des Ferienhauses im Süden, kurze Nächte und Faltenrausch. Aber dieses Mal als Kür, ohne Korsett und aus freier Entscheidung mit der Hoffnung vieles entspannter sehen und geniessen zu können. Schliesslich habe ich schon ein Diplom in der Tasche. Ob dies aufgeht, darüber werde ich hier zu gegebener Zeit Bilanz ziehen.

Gefühlt einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Ich persönlich fühlte mich zu jung, um in meiner zweiten Lebenshälfte vor mich hinzudümpeln, ein unerträgliches Korsett zu tragen und bloß alle Leitplanken zu meiden. Die Wochenenden mit gutem Essen im Bermudadreieck der Freunde waren neben dem Urlaub das Highlight, die Unterbrechung eines Alltages der sich montags bis freitags inhaltlich glich. Das war mir nicht genug Leben. Sicherlich kann der ein oder andere genau in diesem Zeit-Raum-Kontinuum leben. Für mich aber ging das nicht auf. Ich wachse an meinen Herausforderungen und jegliche langanhaltende Monotonie bedeutet für mich Stillstand.

Wenn nicht jetzt wann dann? Reicht das Korsett weiter und geniesst die Kür.

 

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