Entweder deren Spiegel lügt oder meiner. Die Rede ist hier von den spontanen, natürlich filterfreien und ganz persönlichen Posts der modernen Werbeikonen, den Influencern. Die neuen Stars und Idole unserer Kids. Die laufenden Littfasssäulen ohne Privatsphäre mit Traumberuf. Zu Weihnachten gleicht der Wunschzettel unserer Kids dem Screenshot diverser Profile wie Bibis Beauty Palace, Paola oder sonst welchen auch immer so talentierten Zwillingen. Social Media macht es möglich. Gerade vor Weihnachten quilt die Timeline und Storybox von Insta & Co. über. Produkte, die zufällig ins Bild fallen, Waschpulver, welches im Bad steht, Schokolade, die nach dem Sport verzehrt wird. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Ich bin bereit mit der Zeit zu gehen. Rede meiner Teenagertochter täglich ins Gewissen, dass ihr Leben nicht trostlos und unglamourös ist, während auch meine kleine Welt gehörig durchgerüttelt wird. Von morgens bis abends – ein Tag im Online Wahn.

Wir beginnen mit der beliebten morgendlichen Session vor dem Badezimmerspiegel. Den Kitt aus den Augen gewischt, die Augenränder abgedeckt, den Highlighter aufs Make up geschmiert und Lippgloss aufgetragen. Noch schnell den Filter ausgewählt, das Licht gedimmt und das spontane Selfie kann online gehen. Hashtag beyourself „Guten Morgen meine Lieben. Harte Nacht gehabt – wie geht es euch denn so? Was ist Euer Lieblingsshampoo? “ Also bei mir würde jedenfalls keiner in den Kommentaren lesen: Hübsche – Cutie oder zumindest irgendwas Nettes. Dort stände wohl eher „Gute Besserung.”
Spätestens an meinem Kleiderschrank stelle ich erneut fest, wie underdressed ich durchs Leben gehe. Beginnend mit dem BH, welcher stets von der Unterhose abweicht und nur selten farblich ans Outfit abgestimmt ist, bis hin zu den Strümpfen, die nach Abnutzungsgrad gestaffelt in der Schublade liegen. Farbe? Fehlanzeige. Aber immerhin passt dieser simple Kleidungsstil zum Kleiderschrank. Tür auf, Tür zu. Pullover oben, Hosen links und die Handtaschen irgendwo dahinter. Immerhin ist er begehbar, oder wäre er wenn die Stiefel nicht im Weg liegen würden. Ich zähle also nicht zu der modernen Frau mit Sinn für Mode und abgestimmten Accesoirerausch. Wenn ich meinen Ehering mit einem Armreif ergänze bin ich früh wach gewesen.

Der Morgen und meine Kinder – keines lacht beim Verzehr des Frühstücks und sitzt wie aus dem Ei gepellt am Tisch. Ich bin froh, wenn der Look keine Grenzen überschreitet, die Frisur schnell fertig wurde und sich die Gesichter nicht hinter dem Handy verstecken. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Tisch nicht der Frischetheke von EDEKA ähnelt und die Obststücke mit Müsli und frischem Orangensaft wenig Anklang finden. Weder bei meinen Kindern, HAB KEINEN HUNGER, noch bei mir BIN FROH WENN ICH ALLE PÜNKTLICH AUF DEN WEG BEKOMME. Ein Tee und ein Brot – wie unprätentiös.

Das Thema Lunchbox mit Gemüsegesichtern hängt mir dann beim ersten Kaffee noch nach. Ach was soll’s. Aufbackbrezel und Wasser – hat noch niemandem geschadet. Iritierender der Gedanke, dass in den Küchen online scheinbar nie gekocht wird. Da sitzen die ModernMamis auf den weißen Hochglanzkochinseln und grüßen ihre Follower mit persönlichen Momenten. Um einen solchen Post ansatzweise zu ermöglichen müsste ich mehrere Stunden die Küche unter Quarantäne stellen und alle zwei bis Vierbeiner rauswerfen. Zusätzlich kiloweise Obst kaufen und für die Zewa Rolle endlich mal ein hochglanz verchromtes Gestell besorgen.

Shopping, Friseur, Fitness stellen leider die Ausnahme dar und somit ist mein Leben wenig onlinefähig. Also keine Motivationsposts im knappen Dress, natürlich mit seitlich von oben und gutem Licht fotografierten Selfie aus dem GYM. Eher mit Babykotze auf der Hose schnell einkaufen zur Post und Mittagessen kochen. Das hält kein Filter der Welt aus. Davon ab, dass ich bis dato zu 90 % immer noch kein Highlighter und Lippgloss trage.

Überspringen wir die Fahrdienste zu den Kinderhobbies, das Feldrandgeschrei und die Schallplatte LEG DEIN HANDY WEG und kommen wir zu weitaus glamouröseren Momenten: Der Abend!

Aufwendig und lecker und ausgefallen kochen, immer noch wie aus dem Ei gepellt – stehen sie da in ihrer Hochglanzküche mit sauberen, glücklichen Kindern, die wieder mit Vitaminen vollgestopft werden. Hashtag kindersinddiezukunft „UNSER CLEMENZ liebt SUSHI schon seit er zwei ist. Wie nehmen Eure Kids OMEGA 3 Säuren zu sich?“ Spätestens hier mache ich mein Handy aus, stecke es in die Jogginghose und verdrücke mich gemütlich mit meiner Schale Chips, einem Glas Wein und der Fernsteuerung auf dem Sofa. Denn ab 21 Uhr habe ich Feierabend und mein Akku ist leer – der vom Handy dann Gott sei Dank auch. #Dennmorgenwillichfrührausundendlichmalpünktlichaufstehen.

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